An der Gewinnsucht gestorben

Zu Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts wanderte ein Handwerker aus Deutschland aus und siedelte sich in einer neu gegründeten Stadt im Inneren Nordamerika an. Wer damals Geld hatte, konnte mit Landspekulation drüben etwas Rechtes verdienen. Das sah unser Landsmann einigen andren ab und steckte sein geringes väterliches Erbe auch in solche Unternehmungen. Er hatte Glück. Einige vorteilhafte Verkäufe brachten ihm seinen Einsatz mit 200 Prozent Zinsen ein. Da erwachte die Gewinnsucht. Immer von neuem ward gewagt, immer von neuem gewonnen. Sein Vermögen wuchs, er wurde ein reicher Mann, aber der Teufel der Habsucht hatte ihn von nun an fest in seinen Stricken. Dreißig Jahre waren seit seiner Auswanderung verstrichen. Die kleine Kolonie hatte sich allmählich zu einer Weltstadt entwickelt. Es wurde viel gebaut und er Landpreis stieg ins Ungeheure. Mit innigem Behagen sah unser Freund seinen Weizen blühen. Er hatte unmittelbar vor der Stadt ein Grundstück von zwanzig Morgen Größe liegen. Immer näher rückten die neu erbauten Straßen an sein Gebiet heran. „Nun müssen sie mir bald kommen“, lachte er behaglich in sich hinein. Und sie kamen. Eines Tages begehrt ein Beamter der städtischen Verwaltung ihn zu sprechen. „Ich komme im Auftrage der Stadt,“ eröffnete dieser dem hoch Aufhorchenden, „um wegen Überlassung Ihres Grundstücks mit Ihnen zu verhandeln. Man beabsichtigt, dort einen öffentlichen Park anzulegen.“ Die Botschaft entfesselt einen Sturm aufgeregter Gedanken in dem Herzen des Eigentümers. Das will reichlich überlegt sein. Er bittet also um vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Dann fordert er in schriftlicher Eingabe 800.000. Als er das Schreiben abgesandt hat, erschrickt er selbst über die ungeheure Forderung. Wie, wenn sein Preis zu unverschämt erscheint, wenn man die Verhandlungen mit ihm abbricht und sich an seine Konkurrenten wendet! – Es überläuft ihn siedendheiß. Die ganze Nacht tut er vor Sorge kein Auge zu. Aber am andern Morgen überbringt ihm ein Stadtbote einen großen amtlichen Brief. Hurra! Man hat angenommen, nun ist er ein gemachter Mann. Zuerst ist er fast einer Ohnmacht nahe. Dann aber bricht die Freude durch. Er hat im Hause keine Ruhe, es treibt ihn zum Weinhause, um diesen Glückstag mit einem guten Tropfen zu feiern. Das feinste Lokal ist bald erreicht. Eben hat er Platz genommen und seine Bestellung gemacht, als ein Herr auf ihn zueilt und ihm heftig die Hände schüttelt. „Gratuliere, gratuliere herzlich! Das nenne ich ein feines Geschäftchen! Ich war gestern dabei, als der Beschluss gefasst wurde und habe mich in Ihrem Interesse gefreut!“ „Danke, danke Herr Senator! Nun ja, es ist ein erträglicher Gewinn dabei, obwohl nicht allzu groß!“ „Hören Sie mal,“ ruft der Senator, „an Ihrer Stelle hätte ich das Land ja nicht so billig losgeschlagen. Im Senat haben sich alle gewundert. Warum haben Sie nicht eine Million gefordert? Die hätte man Ihnen auch anstandslos bewilligt. – Aber Herr! Was ist mit Ihnen denn? Wird Ihnen plötzlich schlecht?“ Wie vom Donner gerührt, steht der Angeredete da. Totenblässe bedeckt sein Gesicht, er muss sich an dem Tische festhalten, um nicht umzusinken. Starr sieht er den anderen an und fragt mit tonloser Stimme: „Eine Million, ist das wirklich wahr?“ – „Ei, ganz gewiss! Aber beruhigen Sie sich doch! Sie haben ja auch so ein schönes Profitchen gemacht!“ Aber er redete zu tauben Ohren. Schwerfällig wankt der Spekulant hinaus. Wie ein Irrsinniger bleibt er auf der Straße stehen und redet laut und heftig vor sich hin. Lachend sehen ihm die Leute nach, sie meinen, der große Gewinn habe ihm den Verstand geraubt. Endlich verschwindet er in seiner Wohnung. Am anderen Morgen findet der Bäcker das Haus gegen sonstige Gewohnheit noch verschlossen. Als um sieben Uhr die Aufwärterin sich einfindet, ist die Tür von innen verriegelt. Sie geht rings ums Haus und klopft an alle Fenster. Keine Antwort! Da wird’s ihr unheimlich. Sie läuft und benachrichtigt die Nachbarn. Die kommen mit ihr und von neuem wird untersucht, gerufen, geklopft. Neugierige finden sich ein. Vorübergehende bleiben stehen. Bald ist das Haus von einer schaulustigen Menge umlagert. Die Haushälterin ist zur Polizei geeilt. Nach einer Stunde kehrt sie in Begleitung eines Beamten zurück, einen Schlosser haben sie gleich mitgebracht. Die Haustür wird gerbrochen, desgleichen die verschlossene Zimmertür. Die Menge dringt ein, viele Augen spähen in dem dürftig möblierten Raum umher. Da – ein allgemeiner Schreckensruf! In der hintersten Ecke, an dem Geldschrank, hebt sich ein dunkler Körper von der hellen Wand ab. An dem Gesimse des Schrankes hatte der Unselige sich erhängt. Eine Million hätte er gewinnen können, dass er nur 800.000 gefordert, hatte er nicht zu überleben vermocht!

Quelle

Witt, Dietrich: Der ewig reiche Gott (Verlag Wilhelm Froese, Berlin-Steglitz)

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